Abstract: Rudolf Steffens
Martin Luthers Bibelübersetzung: ihre Rezeption in Basel und Zürich und die Antwort der katholischen Korrekturbibeln (1522-1545)
Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche wird im September 1522 in Wittenberg gedruckt. Schon im Dezember 1522 erscheint in der Offizin von Adam Petri in Basel ein Nachdruck. „Diese Ausgabe bot den Luthertext weitgehend wörtlich, wenngleich nicht buchstabengetreu [...].“ (Himmighöfer 1995: 64) Die Leserschaft beschwert sich. Man hat in Basel offenbar Probleme damit, Luthers Text zu verstehen. Einem zweiten Basler Nachdruck vom März 1523 ist ein Glossar (›Petri-Glossar‹) beigegeben, das knapp 200 Luther-Wörter auflistet („Die außlendige(n) woͤrtter auff vnser teutsch angezeygt“, Titelblatt) und diese für die alemannische Leserschaft übersetzt/erläutert (s. unten): Luthers niederdeutsches Lippen wird beispielsweise mit oberdeutschem lefftzen übersetzt.
In Zürich kann ein anderer Reaktionstyp beobachtet werden. Der von Christoph Froschauer besorgte Nachdruck des Neuen Testaments (auf der Grundlage des Basler Nachdrucks vom März 1523) bietet einen in Lautung, Flexionsmorphologie und Wortschatz alemannisierten Text. Sehr bald merkt man, dass der Zürcher Rezeptionsprozess in eine Sackgasse geführt hat: das Zürcher Neue Testament ist nach seiner Alemannisierung für Personen außerhalb des alemannischen Sprachraums nicht mehr verständlich. So beginnt dann seit dem Jahre 1528 die Ent-Alemannisierung im Bereich der Lautung. Waren zunächst die im Zuge der nhd. Diphthongierung entstandenen Zwielaute (die dem Alemannischen fremd waren) systematisch durch Monophthonge ersetzt worden, so werden jetzt die neuen Diphthonge wieder geschrieben:
Luther 1522: | feurige kolen auff seyn hewbt samlen. |
Basel 1523: | feurige kolen auff sein haupt samlen. |
Zürich 1524: | fhürige kolen vf sin houpt samlen. |
Zürich 1528: | fheurig kolen auff sein haupt samlen. |
Die Höhepunkte der Bibelarbeit in Zürich und Wittenberg sind die Vollbibeln der Jahre 1531 (Zürich) und 1545 (Wittenberg, Ausgabe letzter Hand).
Der Vortrag will zeigen, dass die Zürcher Bibel – im Gegensatz zu Luthers Übersetzung – nichts zur Entstehung der nhd. Standardsprache beigetragen hat:
e-Apokope bei stammfinalem -e: Erde > Erd, aber Luther: Erde; e-Apokope beim Plural des Nomens: die Fisch, aber Luther: die Fische; Fehlen der Wechselflexion 2./3. Sg. Präs. der starken Verben: ich falle, du fallest, er falt, aber Luther: falle, fellest, fellet; Imp. Sg. biß, Luther: sey; Gebrauch der einsilbigen alemannischen Formen auf â-Basis für gehen und stehen: 1. Sg. gan, gon, 2. Sg. gaast, 3. Sg. gadt, aber Luther: gehe, gehest, gehet; 2. Sg. I. Pl. Präs.: warum sind jr so forchtsam, aber Luther: Warumb seid jr so furchtsam; finsternus, gfencknuß, gleichnuß, aber Luther: finsternis, gefengnis, Gleichnis.
Besonders augenfällig sind die Unterschiede im Wortschatz: Luthers ostmitteldeutsche/ niederdeutsche Lexeme (Gerücht, Grenze (slaw. Lehnwort), kucken, Lippe, Maulwurf, Ziege), die heute sprachliches Allgemeingut sind, werden in Zürich meist durch alemannische Entsprechungen ersetzt. Luthers Neologismen wie Morgenland werden in Zürich nicht übernommen. Werner Besch (2002) hat gezeigt, dass der alemannische Wortschatz in der Zürcher Bibel nicht von Dauer ist. Die Zürcher Bibel-Ausgaben des 20. Jahrhunderts haben oberdeutsch/alemannisches Gestade, Gleißner, Lefze usw. zugunsten von Luthers Ufer, Heuchler, Lippe aufgegeben.
Am Rande wird auf die katholischen Korrekturbibeln eingegangen: Emser (Tübingen 1532), Dietenberger (Mainz 1534), Eck (Ingolstadt 1537). Was machen die aus dem mitteldeutschen und oberdeutschen Raum kommenden katholischen Übersetzer? Sie übernehmen zum Teil Luthers Neubildungen wie Heuchler (Emser; Dietenberger und Eck haben Gleißner).
Literatur
- Besch, Werner (2000): Die Rolle Luthers für die deutsche Sprachgeschichte. In: Werner Besch et al. (Hgg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2. Auflage. 2. Teilband. Berlin, New York (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.2), 1713-1745.
- Besch, Werner (2002): Lexikalischer Wandel in der Zürcher Bibel. Eine Längsschnittstudie. In: Vilmos Ágel et al. (Hgg.): Das Wort. Seine strukturelle und kulturelle Dimension. Festschrift für Oskar Reichmann zum 65. Geburtstag. Tübingen, 279-296.
- Besch, Werner (2014): Luther und die deutsche Sprache. 500 Jahre deutsche Sprachgeschichte im Lichte der neueren Forschung. Berlin.
- Himmighöfer, Traudel (1995): Die Zürcher Bibel bis zum Tode Zwinglis (1531). Darstellung und Bibliographie. Mainz (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte 154).
- Sonderegger, Stefan (1998): Geschichte deutschsprachiger Bibelübersetzungen. In: Werner Besch et al. (Hgg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 1. Teilband. 2. Auflage. Berlin, New York (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.1), 229-284.
- Steffens, Rudolf (2012): Die Präposition-Artikel-Enklise in der deutschen Sprachgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Bibelübersetzung Martin Luthers. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 79, 298-329.